Donnerstag, April 06, 2006

Über Chats, Internet Communities und andere Dinge - Ein Kommentar

Dies ist nun kein ausgesprochener Literatur- oder Buchtipp. Aber geht es in der Literatur nicht auch um Beziehungen, etwa um die Beziehung eines Autors mit seinen Figuren oder mit dem Leser? Auch in Chats oder Internet-Communities geht es um Beziehung, um Sprache und Kommunikation, wenn auch nicht in erster Linie um Literatur im eigentlichen Sinne.

Wie ihr vielleicht schon mit bekommen habt, wurde an unserer Schule der Zugang zur Internet-Community Kwick gesperrt. Ich selbst halte Chats für eine wichtige Form der Kommunikation, die neben der Selbstdarstellung auch einen wichtigen Beitrag zu sozialer Interaktion leisten kann. Schließlich geht es bei Kwick ja nicht nur ums Chatten, sondern man kann ja auch Blogs führen, sich in Clans organisieren, sich zu allen möglichen Themen äußern und andere Meinungen kommentieren, eigene Artikel veröffentlichen und vieles mehr.

In meiner Recherche zum Thema Chat bin auf die Homepage von Nicola Döring gestoßen. Frau Döring, Professorin an der Ilmenau-Universität für Technologie im bereich Medien und Kommunikation, beschäftigt sich wissenschaftlich mit diesem Thema. Sie schreibt:

„Das Online-Chatten als zeitgleiche computervermittelte Kommunikation ist beides: Vertraut und neu. Etablierte Kommunikationsformen dienen als Vorlage und als Kontrast. Man spricht davon, sich im Chat "getroffen" und miteinander "geredet" zu haben. Man freut sich, dass Bekannte "auch da sind". Man "küsst" und "knuddelt" sich.“ (3) Sie interessiert an den Chats vor allem die sozialpsychologische Sicht, da es hier ja um die Konzepte von Identität, sozialer Beziehung und Gruppe gehe (2)

In ihrem Artikel Sozialpsychologische Chat-Forschung: Methoden, Theorien, Befunde.Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsfeld, Stuttgart, 141-186 (die Seitenzahlen hier beziehen sich die Manuskript-Version, die sie mir freundlicherweise geschickt hat) geht sie neben der Beschreibung unterschiedlicher Forschungsansätze zum Thema auch auf das Thema der so genannten virtuellen Identitäten im Chat ein (22ff). Dabei macht sie auch deutlich, dass die Positionen sowohl der Chat-Kritiker, die die Selbstdarstellungen in den Chats als Maskerade oder beliebiges „Identitäts-Hopping“ bezeichnen, als auch die der Befürworter, die in den Chats neue Möglichkeiten der Selbsterkenntnis und Identitätsentwicklung sehen, relativiert werden müssen. (22) Allerdings gehe es bei der Wahl des Nickname aber nicht um primär darum den realen Namen zu verschleiern, sondern um damit Aufmerksamkeit zu erregen. Mit Ausnahme bestimmter Chatter-Typen scheinen die meisten Chattenden, eine Selbstdarstellung zu praktizieren, die sich an relevanten Selbstaspekten orientiert und damit der Chat-Kommunikation persönliche Bedeutung verleiht...“ (23).

Im weiteren führt sie aus, dass auch Chat-Kontakte in den Aufbau sozialer Beziehungen münden können. Es könnten sogar enge Freundschaften dabei entstehen (S. 23), was ich persönlich bestätigen kann. In den Tagen, als mein Vater im Sterben lag, beantwortete ich die einfache Frage "Wie geht's Dir", die mir einige meiner Kontakte gestellt haben, wahrheitsgemäß. Was ich dann an Verständnis, Trost, Zuwendung und Wärme bekam von Menschen, die ich vorher eigentlich nicht gekannt hatte, hat mir in den Tagen des Abschieds sehr geholfen und gut getan. Im übrigen, so sagt Döring, könne der Chat bestehende Beziehungen verändern, denn:

„Mit der Veralltäglichung des häuslichen und beruflichen Netzzugangs in immer größeren Bevölkerungskreisen wird sich der Chat (insbesondere in der Variante Instant Messaging) auch als Medium innerhalb bereits etablierter beruflicher und privater Beziehungen einen Platz erobern.“ (24)

Über Online-Communities – und darum handelt es sich ja bei Kwick – werde so Nicola Döring ähnlich wie bei den Chats polarisiert. So sei der Vorwurf, es handle sich hier um bloße Pseudo-Gemeinschaften, weder theoretisch noch empirisch haltbar. Man müsse die Innenwelt von Chat-Gemeinschaften und ihre Beziehung zu Außenwelt genauer analysieren. (24). Sie schlage sich die Existenz einer virtuelle Gemeinschaft u.a darin nieder,

„...dass diese Binnenkommunikation im Forum zu einem nennenswerten Teil auf die Gemeinschaftsbildung Bezug nimmt: Die Existenz von kommentierten Mitgliederverzeichnissen, schriftlichen Verhaltensregeln (Chattiquetten), Erfahrungsberichten von Channel-Parties (vgl. Seidler, 1994), Mythen, Ritualen, Klatschgeschichten und Fotoalben beweist, dass die Forums-Mitglieder eine eigene Kommunikationskultur etablieren und sich damit als Gemeinschaft von anderen Foren abheben.“ (25).

Ohne die gefährlichen Seiten des Netzes zu ignorieren, etwa der Suchtgefahr, sieht Professor Döring durchaus die positiven Seiten von Chats und Internet-Foren, da diese ungewohnten Sozialkontakte eine Faszination ausüben und sogar ein „Flow-Erleben“ ermöglichen können. (29)

Welche Position jemand zum Thema Chat, Internet, News Groups usw. auch immer einnimmt, so müssen doch die grundsätzlichen Wertfragen gestellt und diskutiert werden, so Döring, etwa, was in unseren Augen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ist. Nur weil wir es ablehnen oder etwas nicht verstehen, heisst das noch lange nicht, dass es dann sinnlos und Zeitverschwendung ist. Dieser Kommentar versteht sich als Beitrag zu dieser Diskussion. Denn wir sollten unsere Schüler auch anleiten reflektiert und kritisch mit diesen neuen Möglichkeiten der Kommunikation um zu gehen.

„Für Eltern und Schule lautet die medienerzieherische Aufgabe, Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung von Kompetenz, Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Medien und Informationstechnologien zu unterstützen.“, schreibt Daniel Amman. (Schön dich zu lesen: Chatten im Internet, 29).

Das kann meiner Meinung nach nicht durch eine grundsätzliche Einschränkung bestmmter Seiten, was im Grunde auch dem ersten Leitbildsatz unserer Schule widersprechen würde. Vielleicht sollten wir einfach mal mit unseren Schülern chatten oder uns mit Ihnen in Kwick treffen.

Was also ist Eure Meinung dazu? Warum seid ihr in Kwick? Was fasziniert Euch an dieser Community? Ich warte auf Eure Kommentare. Das Thema Chat ist im übrigen wissenschaftlich sehr gut erforscht. [Mehr zum Thema Chat.....]


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Selbst bin ich nicht in Kwick, da es broserabhängig ist und man immer etwas machen muss, um zu sehen, wer online ist und so weiter.

Dagegen läuft ICQ (von dem ich relativ begeistert bin) im Hintergrund ab. Man hört Geräusche, wenn sich einer Kontakt anmeldet oder einem eine Nachricht geschrieben wird (da blinkt zusätzlich noch ein Chatfenster auf). Außerdem ist es international bezogen und nicht nur auf Deutschland - und es herrscht kein Punktesystem.

Aber mal zum Kwick-Verbot in der Schule: Ich finde es schon merkwürdig, wieso das gesperrt wird. Bloß weil Meinungsfreheit herrscht? Als reifer Schüler sollte man damit eigentlich umgehen und entscheiden können, welche Meinung konstruktiv und welche kriminell rechtsradikal ist.

Wie ich festgestellt habe, lässt sich immerhin ICQ in der Schule verwenden (nicht groß rumerzählen, sonst sperrt das die Schulleitung auch noch). Man kann über das skriptgesteuerte www.icq.com/icq2go seinen Kontakten schreiben.

Anonym hat gesagt…

Ich finde es schade, dass in unserer Schule kwick gesperrt wurde. Ich bin selber in kwick und ich finds toll weil es eine große Community ist wo viele Leute aus dem Kreis Göppingen angemeldet sind oder auch aus ganz Deutschland. Ich bin in kwick um mit Freunden zu schreiben, die ich nicht oft sehen kann, mit alten Mitschülern oder einfach um neue Menschen kennen zu lernen. Ich selber finde es faszinierend, dass ich hier in einem kleinen Dorf sitze und dann mit jemand schreiben kann, der in Berlin sitzt. Oder dass ich sogar über andere Chats noch mit Menschen schreiben kann, die in China oder Amerika sitzen. Und ohne Chats würde ich das nie können, deswegen finde ich Chats so großartig. Und dass unsere Schule jetzt diese tolle Erfahrung sperren will, ist echt schade. Ich kann diese Erfahrung zwar auch zu Hause machen aber wieso soll ich es nicht auch in der Schule können? Statt die Pausen gelangweilt rumzusitzen kann ich doch auch Menschen auf der ganzen Welt kennen lernen. Man lernt dabei mit einer Fremdsprache besser umzugehen und man lernt andere Kulturen kennen. Das ist es doch, was die Schule immer möchte.
Und die ganzen Messengers finde ich auch toll, weil man darüber mit den Menschen noch schneller kommunizieren kann als über Email oder kwick.
Und um nicht den kwick Blog noch zu vergessen, den finde ich auch prima weil ich, wenn ich mal Zeit habe, Kommentare zu derzeitigen Themen schreibe und ich kann es da veröffentlichen und Freunde können dann kommentare dazu abgeben :)

Doc hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Doc hat gesagt…

Um weiteren Missverständnisse vorzubeugen, folgt hier eine Ergänzung zu meinem Kommentar.

Es stimmt nicht, dass die Schulleitung die Seiten gesperrt hat. Noch hat sie vor, weitere Seiten zu sperren, wie der obige Kommentator befürchet. Das habe ich weder behauptet noch wollte ich irgend jemanden angreifen. Ich verstehe meine Ausführungen zu diesem Thema als einen Beitrag zu einer inhaltlichen Diskussion über Sinn oder Unsinn von Chats, Internet-Communities, und über die Notwendigkeit, dass es wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler eine Medienkompetenz erwerben, die es ihnen ermöglicht, kritisch mit dem Medium Internet um zu gehen. Ich bin der Meinung, dass dies nur über einen freien Zugang und eine mögliche pädagogische Begleitung und nicht durch Sperrung gelingen kann. Mir ist es wichtig diese Themen inhaltlich zu diskutieren, um so zu einer Entscheidung zu gelangen, die wir alle an der Schule befürworten können. Selbstverständlich werde ich mich an alle Entscheidungen, die die Schule trifft, halten und diese auch mit tragen. Gi

Anonym hat gesagt…

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